Welche Antworten finden ArchitektInnen und StadtplanerInnen auf Fragen nach
Zusammenhang zwischen Raum und Kriminalität? Wie sieht der Zusammenhang zwischen
diesen Fragen und Migration aus?
Ich möchte versuchen den Zusammenhang zwischen Raum und Kriminalität am Beispiel der Gropiusstadt in Berlin- Neukölln zu beschreiben. Als die Gropiusstadt (1962-1975) in den 60er Jahren gebaut wurde, war sie die Antwort auf die Kahlschlagsanierung der Berliner Mietshauskasernen, die mit der Charta von Athen und dem Ruf nach Licht, Luft und Sonne! begründet wurde. Die Bewohner der rückgebauten Seiten- und Hinterhäuser wurden umgesiedelt in Großsiedlungen am Stadtrand, wie die Gropiusstadt oder das Märkische Viertel. Durch den Verlust der gewohnten Umgebung und der Nachbarschaft und die von Bewohnern oftmals beschriebene gefühlte Kälte der Betonblöcke, die an der zu langsam entwickelten Infrastruktur rund um die Wohnhochhäuser lag, kam es zu ersten Selbsttötungen. Ein schwerer Imageverlust der Großsiedlungen und der beginnn einer Abwärtspirale.
In den 70er Jahren waren bereits 90% Sozialwohnungen, es entstanden hohe Fluktuation und Leerstand. Die Bewohnerschaft tauschte sich innerhalb eines Jahres zur Hälfte aus. Das wiederum sorgte für mehr Anonymität und weniger sozialer Sicherheit. Die Mobilen (denen es möglich ist) verlassen solche Quartiere und schwächen damit die sozialen Kompetenzen und die politische Repräsentation des Quartiers - denn z.B. um eine wirksame Nachbarschaftsinitiative zu gründen, bedarf es einiger sozialer Kompetenten (Hartmut Häußermann Die Krise der "sozialen Stadt"). Die großen Freiflächen zwischen den Gebäuden, dunkle Ecken und die Treppenaufgänge wurden zu Angsträumen. Christiane F. , Autorin des Buches Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (Hamburg, 1981) schildert in ihrem Buch das lebensfeindliche Milieu der Gropiusstadt, in der sie aufgewachsen ist und erzählt über mangelnde Infrastruktur, verwahrloste Treppenhäuser, und Bandenkriege unter den Kindern .
Jörg-Martin Kehle erklärt in seinem Buch Raum und Kriminalität (Mönchengladbach, 2001) -es überrascht kaum- dass überproportional viele Täter (Tatverdächtige) in Stadtteilen mit schlechter Baustruktur wohnen. Laut Jörg-Martin Kehle sorgt die Baustruktur nicht für Kriminalität, sondern wichtiger, die dahinterstehende Sozialstruktur. In Sozialwohnungen leben vor allem gesellschaftlich benachteiligte Mieter: Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Migranten, Alleinerziehende oder Menschen mit Suchtproblemen. Durch diese Art von Bewohnermischung konnten wachsende soziale Spannungen bis hin zu aggressiven Verhalten beobachtet werden; aber auch wachsender Vandalismus und Kleinkriminalität (Bonner Forschungsinstitut empirica, nach Manfred Neuhöfer, Überforderte Nachbarschaften). Der Grund für die Übereinstimmung zwischen schlechter Baustruktur und sozialer Randgruppen dürfte die Korrelation zwischen sozialer Randgruppe und Einkommensschwäche, sowie schlechte Baustruktur und niedrige Miete sein.
Meiner Meinung nach läßt sich Kriminalität allein durch architektonische und städtebaulich Maßnahmen also weder erzeugen noch bekämpfen. Es ist eine vielmehr komplexe Wechselwirkung von sozialen und baulichen Strukturen: Die sozialen Strukturen sind in einem Wohnhochhaus sicherlich vielschichtiger und komplizierter als im suburbanen Gebiet in einem Einfamilienhaus. Auf jeden Fall sollte eine Segretation des Gebietes vermieden werden. Durch die richtige Mischung von Sozial- und allgemein zugänglichen Wohnungen, durch verschiedene Grundrisse und Wohnungstypen, durch gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr und durch gute innere Infrastruktur.
In der Gropiusstadt wurde die Abwärtsspirale gestoppt. Wichtigste Schritte dazu: In den 80er Jahren (zehn Jahre nach Fertigstellung der Wohntürme!) wurde der Außenbereich nach den ursprünglichen Plänen von Walter Gropius fertiggestellt. Zusätzlich wurde und wird an der sozialen Struktur gearbeitet (Jugenclubs, Quartiersmanagement, Ausstellungen, Publikationen). Und um eine Wohnung in der Gropiusstadt zu mieten ist kein Wohnberechtigungsschein (eine amtliche Bescheinigung, mit deren Hilfe ein Mieter nachweisen kann, dass er berechtigt ist, eine Sozialwohnung zu beziehen) mehr nötig. Somit kann jeder, auch Menschen, die nicht zu den finanziell Schwächeren zählen, dort einziehen.